SHE Architekten

Overview

Haus 1 • Beverungen

she-architeckten
she-architeckten
she-architeckten
she-architeckten
she-architeckten
she-architeckten
she-architeckten
she-architeckten
she-architeckten
she-architeckten
she-architeckten
she-architeckten

Spline • Topos

LEBEN IM AFFEKT

Wohnhaus in Beverungen

 

Ich spielte die Monkees, >Mary, Mary<, nur den Teil, wo sie singen: >Mary, where are you going?<. Sie tanzten wie wahnsinnig. Ich sagte: >Du hast gerade zu den Monkees getanzt<. Sie:>Du lügst, ich tanze nicht zu den Monkees<. Ich liebe es, Leute zu irritieren, die Musik kategorisieren. 1
DJ Afrika Bambaataa

Ausgerechnet Beverungen. Das erste Gebäude des für seinen herausgekehrten Kosmopolitisrnus bekannten Büros SHE_arch entstand in der tiefsten Provinz des Weserberglandes. Man wundert sich, aber auch Flugtickets zu Any-Konferenzen in New York müssen erst einmal verdient werden, und da traf es sich gut, dass die Schwester von Stephan Schrick, einem der Mitbegründer von SHE, für sich und ihren Mann ein Eigenheim wollte - im heimatlichen Beverungen. Beide ahnten wohl kaum, worauf sie sich einließen.
Bei der immer wieder betonten Nähe zu amerikanischen Architekten wie Greg Lynn und Asymptote war ohnehin nicht mit einem betulichen Satteldachhäuschen zu rechnen, aber einen spektakuläreren Einbruch des Disharmonischen in die kleinstädtische Einfamilienhausidylle kann man sich nun wirklich kaum noch vorstellen.
Ein bizarres, schiefes Etwas steht nun dort am Hang, das sich, einem Alien gleich, allen vertrauten Sehgewohnheiten und Typologien entzieht. Die talwärts gelegene Vorderseite des Hauses ist als geschlossene, zweifach konvex gekrümmte Fläche ausgebildet, in der Wand und Dach miteinander verschmelzen. Die schuppige Haut aus vorbewitterten Zinkblechen hat sichtlich Mühe, der komplizierten Außenform des Gebäudes zu folgen; alle Paneele mussten so scheint es, individuell zugeschnitten und gebogen werden. Die Lebendigkeit des Materials nimmt dem Bau etwas von seiner kühlen, fast abweisenden Aura, vermeidet bewusst Hightech-Ästhetik und makelloses Finish. Mir scheint, es ist damit auch eine Distanzierung von der dem Büro immer wieder unterstellten Blob-Architektur verbunden.
Ganz anders die dem Berg zugewandte Rückseite: Eine mit Lärchenholz verkleidete Außenwand bildet einen soliden Abschluss und stellt die alte architektonische Ordnung her, wären da nur nicht jene bizarren Stachel, die sich, von der Dachebene ausgehend, bogenförmig in das Erdreich bohren. Durch sie wird das so eindeutig scheinende tektonische Prinzip verunklart, denn es ist erst bei sehr genauem Hinschauen zu ahnen, dass die mit Zinkblech ummantelten Stahlbinder tatsächlich ein tragendes Element sind und nicht nur eine assoziative Fortführung der geschwungenen Vorderseite.
Das Innere ist erstaunlich klassisch aufgeteilt: im westlichen Teil befinden sich die auch Gästen offen stehenden Wohnräume, im Osten sind, getrennt durch eine mittig angeordnete Erschliessungszone, die Privatzimmer. Die Gestalt der Räume ist in anderer Hinsicht überraschend: Die aufwändige Wölbung des Baukörpers und die schiefwinkligen Innenwände des Grundrisses wecken die Begierde nach neuen, überwältigenden Raumerlebnissen. Doch sie wird enttäuscht, nirgendwo spektakuläre Inszenierungen. Alles scheint verwinkelt und kleinteilig, statt Ganzheitlichkeit und Harmonie dominieren das Fragmentarische und Dissonanzen. Selbst der einzige große Raum, das sich über zwei Etagen erstreckende Wohnzimmer mit einer kolossalen Glasfassade, bleibt infolge einer Aufteilung in verschiedene Zonen eigenartig indifferent. Doch wenn man sich erst einmal damit abgefunden hat, öffnet sich der Blick für wunderliche Details: im Schlafzimmer befindet sich das extrem breite Fenster ungewohnt tief in Bodennähe und bietet so nur vom Bett aus einen wunderbaren Panoramablick in das pittoreske Tal. Eine Galerie im Wohnraum, die sowohl Rückzug als auch Überblick erlaubt, wird nicht von Stützen, sondern einem durch den Raum ragenden Unterzug getragen, der nicht unter der Galerie, sondern neben ihr zu enden scheint. Beim Blick auf diese Konstruktion stellt sich unwillkürlich ein mulmiges Gefühl ein, das "natürliche"Empfinden für das statisch Ausgewogene wird subtil gestört. Die Lamellengitter des Galeriegeländers sind schräg gestellt, wodurch sie, je nach Betrachterstandpunkt, offen oder geschlossen erscheinen. Es dürfte hochinteressant, aber auch anstrengend sein, inmitten all dieser Interventionen zu wohnen, gleichsam ein Leben im ständigen Affekt. Immer wieder wird man absichtsvoll verwirrt, denn "auf Irritationen folgen Fragen“ (Schrick). Nichts scheint sicher, außer der Unsicherheit. Wenn sich die Bewohner auf das subversive Spiel einlassen, ändert sich auch deren Leben, so das Kalkül von SHE. Damit sind sie recht nah an Peter Eisenman, dem Apologeten der Entfremdung: Statt Harmonie vorzutäuschen "(...)könnte [es) gerade die Rolle der Kunst und Architektur sein, die Leute daran zu erinnern, dass nicht alles in Ordnung ist"2. Die Widerstände gegen eine solche Haltung sind enorm. Was essenzieller Bestandteil von Kunst und Popkultur ist, wird der Architektur verweigert. Wo der Mensch sein privates Leben führt, so die gängige Begründung, möchte er nicht belehrt und manipuliert werden. SHE_arch kämpfen mit einer der jungen Generation fast schon verloren gegangenen Radikalität gegen diese Ressentiments an. Statt Heimeligkeit vorzutäuschen sucht ihr Erstlingsbau die Auseinandersetzung mit den Bewohnern und der Umwelt. Er ist ein Manifest, ein Fanal für den Willen einer anderen Architektur, der es nicht um die Entscheidung zwischen box und blob geht, sondern um Inhalte. Der Mut, neue Raumformen nicht nur anzudenken oder zu zeichnen, sondern trotz vieler Probleme und Widerstände, auch zu bauen, nötigt Respekt ab Das dabei manchmal der Feinschliff im baulichen Detail noch fehlt, ist nicht weiter schlimm, er wird sich mit mehr Routine noch einstellen. Man darf gespannt sein auf Folgendes.
Claas Gefroi

1 David Toop ,Rap Attack,München 1994
2 Peter Eisenman,Aura und Exzess. Zur Überwindung der Metaphysik der Architektur, hg. v. Ullrich Schwarz, Wien 1995

Aus: Architektur in Hamburg, Jahrbuch 2001 S. 98ff., Junius Verlag Hamburg 2001

Aufgabe

Neubau eines Einfamilienwohnhauses

Mitarbeiter

Anna Nicolas-Espig, Ulrich Hahnefeld, Stephan Schrick (SHE_arch)
Fotos Oliver Heissner

Bauherr

Privat

Standort

37688 Beverungen, Weserbergland, NRW

Material

7 polygonale Stahlbögen, Stützwand Sichtbeton,
Deckung Dach / Fassade Titanzink vorbewittert,
Lärchenholz unbehandelt

Datum

11- 1998 bis 08-2000

Zahlen

 

Foto

 

 

220 m² BGF

 

Oliver Heissner